Liebe Mutti!
Vor einem Jahr, als es dir plötzlich so schlecht ging und du fast gestorben wärst, wenn ich dich nicht rechtzeitig gefunden hätte, hast du vorher noch auf einen Zettel geschrieben, du hättest Angst vor jahrelangem Siechtum und man solle dich in Ruhe lassen.
Ich hab dich nicht in Ruhe gelassen, sondern den Arzt geholt, und bald ging es dir wieder besser. Voll Optimismus bist du im Frühling ins Heim im Liebhartstal übersiedelt, und wir alle hätten dir dort noch viele schöne Jahre gewünscht.
Doch es war dir nicht vergönnt: im Sommer hat dich das Schicksal eingeholt. Du musstest erleben, was Krankheit, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein bedeutet. Trotzdem hast du noch gekämpft. Man sah dir oft an, wie unglücklich du warst, und doch gab es auch immer wieder Tage, wo du friedlich und mit dir selbst im Reinen schienst.
So schlimm es für uns Angehörige war, dich leiden zu sehen, so schön war es, wenn du einmal gelächelt oder unsere Hand fest gedrückt hast. Wenn ich mit dir im Rollstuhl in den Garten gefahren bin und wir gemeinsam die Herbstsonne genossen haben, oder wenn ich dir alte Fotos gezeigt habe und man dir ansah, dass die Erinnerung wieder kommt und du dich darüber freust (sprechen konntest du ja nicht mehr), dann hab ich mich dir so verbunden gefühlt wie zuletzt vielleicht in meiner Kindheit.
Für diese Momente bin ich dir besonders dankbar.
In Liebe
Dein Hermann
